Reisebericht Litauen

Eigentlich merkt man hier erst einmal überhaupt keinen Unterschied zum Nachbarland:
die Häuser zerfallen beim Zuschauen, trotzdem hängen an den Fenstern noch Gardinen und Hühner rennen vor dem Haus herum.

Auch hier herrscht unübersehbar Armut, wir sehen ganz viele vereinzelte Kühe, Pferde und Ziegen, die angepflockt auf der Wiese stehen. Ansonsten herrscht hier Landwirtschaft vor, riesengroße Felder und Äcker säumen die Straße.

Zehn Kilometer nördlich von Šiauliai liegt der Berg der Kreuze „Kryziu kalnas“: seit der Zarenzeit stecken Pilger hier Kreuze in den Boden, hinterlassen kleine Jesusfiguren oder auch papierene Botschaften – niemand kann zählen, wie viele christliche Symbole hier angebracht wurden. 1993 besuchte sogar Papst Johannes Paul II diesen Ort und zelebrierte unter freiem Himmel eine Messe für über 100.000 Gläubige. Wir fahren auf den riesigen Parkplatz, an den Verkaufsständen kann jeder ein Kreuz (es ist einfach alles zu haben, schlichte, große, kleine, aus Holz oder Metall, mit Gravur oder ohne, teuer, preiswert usw.) kaufen und den Berg eigenhändig erweitern. Auch wir nehmen ein schlichtes Holzkreuz mit.

Je näher wir dem eigenartigen Berg kommen, desto mystischer scheint er uns. Man fühlt sich fast ein wenig eingeschüchtert – ein Meer aus Kreuzen, Bildchen, Rosenkränzen – total skurril. Wir schwanken zwischen Ehrfurcht und Gänsehaut.

Der Berg der Kreuze ist unheimlich, befremdlich und faszinierend zugleich !!

Auf unserem Stellplatz an einem kleinen Badesee bekommen wir zu später Stunde noch Besuch von der örtlichen Polizei: der Beamte macht uns freundlich darauf aufmerksam, dass wir nicht auf dem richtigen Parkplatz stehen und fordert uns auf, 100 m weiter hinten zu parken. Wir können das nicht ganz nachvollziehen, zumal wir ganz alleine hier stehen und am nächsten Tag sicher auch keine Badegäste kommen werden. Aber egal, wir stellen uns auf den vorderen Platz und verbringen ansonsten eine ruhige Nacht.

Auf dem Weg zur Küste steht heute Versorgung an: Gas, Wasser, Diesel und Lebensmittel werden eingekauft, dann geht es in Klaipeda auf die Fähre. Nach einer kurzer Überfahrt und 25,— € ärmer kommen wir auf der Kurischen Nehrung. Das ist eine 98 km in die Ostsee ragende Landzunge an der Nordküste des Samlandes. Die nördlichen 52 Kilometer gehören zu Litauen, die restlichen 46 zur russischen Enklave Kaliningrad. Vor rund 500 Jahren holzten die an der Nehrung lebenden Manschen die Kiefernwälder weiträumig ab. Die Natur rächte sich: die Dünen begannen zu wandern und begruben insgesamt 14 Dörfer unter sich. Erst als im 19. Jahrhundert wieder Kiefern gepflanzt wurden und sich ein Waldstreifen bildete, beruhigten sich die Dünen.

Heutzutage gibt es hier eine der größten Dünen Europas, die ganze Insel wurde Im Jahr 2000 zum UNESCO-Welterbe erklärt. Gleich nach den ersten Metern sehe ich im Wald eine große Elchkuh – ich kann es gar nicht glauben ! Leider können wir an der Stelle nicht anhalten, um ein Foto zu machen. Später lese ich im Internet, dass hier auf dieser Halbinsel tatsächlich 40 – 60 Elche leben. Zu dieser Jahreszeit ist nichts mehr los, wir finden problemlos einen Parkplatz. An dem kilometerlangen Sandstrand toben sich unsere Hunde erst mal richtig aus, ein kleiner Sonnenuntergang über der Ostsee beendet den Tag.

Der Samstagmorgen erscheint mit (fast) wolkenlosem, strahlend blauen Himmel. Gleich nach dem Frühstück machen wir uns auf den Weg, laufen fast 10 Kilometer am menschenleeren Strand entlang. Die Hunde können rennen, toben, raufen und spielen, wie es ihnen gefällt. Quappo macht sogar eine Spa-Anwendung: Haut im Sand abschrubben und dann ein erfrischendes Bad im Salzwasser !!

Das Gebiet nennt sich umgangssprachlich auch Ostseesahara – wir finden, der Name passt sehr gut !

Es ist Sonntagvormittag und es regnet in Strömen – aber meine norwegische Wetterapp (immer noch die beste App ☺) sagt, dass es um 14.00 Uhr aufhört. Also vertreiben wir uns die Zeit ein bisschen mit Lesen und siehe da, der Regen hört tatsächlich auf. Endlich können wir uns auf den Weg machen zur Parnidis-Düne in Nida – eine der größten Wanderdünen Europas. Auf dem Weg dorthin kommen wir direkt an die russische Grenze – hier geht nichts mehr, es sind Poller auf der Strasse und es gibt kein Weiterkommen.

Die Düne ist riesig, man kann von hier aus die beiden Küsten der Nehrung und natürlich die russische Provinz Kaliningrad sehen. Hier ist absolutes Naturschutzgebiet, man darf nur auf ganz wenigen Wegen laufen – aber das ist völlig in Ordnung.

Sitz machen hat Quappo irgendwie falsch verstanden ☺

Zurück an unserem ersten Platz, laufen wir zum Strand: heute hört man das Rauschen schon von weitem, die Ostsee ist kein braves Gewässer mehr, Wellen überschlagen sich, kommen immer weiter an den Strand und der Sturm pfeift uns um die Ohren, kein Mensch mehr weit und breit – echt beeindruckend.

Nach einem sonnigen, letzten Strandspaziergang verlassen wir die Nehrung wieder mit der Fähre. Es geht weiter Richtung Kaunas, wir fahren gemütlich auf der Landstrasse entlang der Memel. Die Strassen hier sind in einem ziemlich katastrophalen Zustand, das ist schon wie Offroadfahren. Entlang der Strecke schauen wir uns das Schloss Raudone an, machen einen Spaziergang im Schlosspark und finden kurz darauf einen Stellpaltz am Ufer der Memel. Der Tag endet mit einem schönen Sonnenuntergang, am Morgen kämpft sich die Sonne langsam wieder durch den Nebel.

Nach dem Frühstück fahren wir weiter das Flussbett entlang, immer wieder gibt es kleine Burgen und Kirchen auf den Hügeln entlang zu sehen. Auch hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, die Dörfer machen einen verwaisten und verarmten Eindruck, wir müssen immer wieder den Kopf schütteln, dass Menschen in diesen kleinen Häusern bzw. Hütten leben.

Durch die Großstadt Kaunas fahren wir nur durch, die Stadt zählt gerade als Corona-Hotspot, darauf haben wir keine Lust. Kurz hinter Kaunas erreichen wir Rumsiskes, hier gibt es das litauische Freilichtmuseum. Anscheinend sind wir die einzigen Gäste im Museum, alles ist wie ausgestorben. Glücklichweise hat der Park noch geöffnet, es werden Gebäude aus den verschiedenen Regionen Litauens gezeigt. Alles ist sehr liebevoll gestaltet und sehr gepflegt, wir sehen viele Bauernhäuser, ein kleines Dorf mit Kirche, Schule, Läden und Dorfplatz, Windmühlen, Zugbrunnen – alles sehr weitläufig und schön angelegt.

Wir erreichen Vilnius, die Hauptstadt Litauens – leider lässt sich die Sonne heute nicht blicken, aber es ist wenigstens trocken. Unsere Henriette parken wir sehr zentral und trotzdem ruhig auf einem großen Parkplatz unterhalb der Burg. Als erstes steigen wir auf den 140 m hohen Burgberg, um einen Überblick über die Stadt zu bekommen. Die vielen Kirchtürme stechen gleich heraus, wir haben gelesen, dass es rund 50 Kirchen in Vilnius gibt. Die Stadt war schon immer ein Schmelztiegel der Kulturen, für die osteuropäischen Juden war Vilne jahrhundertelang ein geistiges Zentrum, daneben sind Zwiebeltürme der russisch-orthodoxen Kirchen zu sehen und natürlich finden sich überall die Symbole der katholischen Kirche. Wieder unten angekommen, schlendern wir durch die schöne Altstadt. Quappo und Frodo sind gleich irritiert: hier finden sich ein paar Hundekumpels, die ganz brav „steh “ machen und nicht mit ihnen spielen wollen ?

Leider herrscht auch hier überall gähnende Leere: viele Restaurants und Geschäfte haben ganz geschlossen, sicher zum Teil der Jahreszeit geschuldet, aber sicher auch zum großen Teil coronabedingt. Zum ersten Mal tragen wir für längere Zeit den Mundschutz – wie viele andere auch. Der riesige Kathedralenplatz ist sehr beeindruckend, die Kathedrale St. Stanislaus erinnert eher an einen griechischen Tempel als an eine Kirche. Daneben stehen prachtvoll restaurierte Bürger- wie Kaufmannshäuser, die Universität (älteste des Baltikums), der Großfürstenpalast und einige Museen. Wenn man durch die hübschem Gässchen schlendert, entdeckt man verwinkelte, malerische Innenhöfe, mit ganz liebevoll gestalteten Geschäften, Cafes und Restaurants. Aber ein paar Meter außerhalb der Fußgängerzone erblicken wir viele verfallene und trostlose Ecken, auch hier gibt es noch viel zu tun.

Nach einer sehr ruhigen Nacht mitten in der Stadt werden wir morgens von den Gärtner geweckt, die gerade das letzte Gras auf dem Burgberg absensen. Ist aber gut so, denn die Sonne scheint und so unternehmen wir eine Tour durch den Park zu der schönen Annakirche, ein aus 33 Ziegelarten erschaffenes Werk der Backsteingotik.

Weiter geht es nach Uzupis. Das ist der kleinste, gerade mal 0,6 km2 große Bezirk von Vilnius. Die Bewohner (Künster, Intellektuelle, Studenten, Geschäfsleute) dieser „Res Publika Uzupis“ leben bewusst und reichlich satirisch einen Gegenentwurf zu Zeitgeist und Konsumwahn. Überall stehen interessante Kunstobjekte, es gibt hier viel zu enzdecken.

Am 01. April 1997 haben die Einwohner dieses Stadtteils (eigentlich zum Spaß, aber doch auch ernsthaft) ihre Unabhängigkeit ausgerufen und eine eigene Verfassung aufgestellt.

Diese Verfassung wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt und hängt an einer Wand der Paupio-Strasse. Die einzelnen Punkte sind klar und einfach zu verstehen, zum Teil lustig, aber auch tiefsinnig. Wenn alle Menschen danach leben würden, wäre unsere Welt sicher ein bessere Ort !! In Artikel 16 zum Beispiel heißt es: „der Mensch hat das Recht, glücklich zu sein“, im Artikel 20 steht: „kein Mensch hat das Recht, Gewalt auszuüben“.

Am Nachmittag statten wir dem Städtchen Trakei, rund 25 km südlich der Hauptstadt gelegen, einen Besuch ab. Malerisch gelegen, von vier miteinander verbundenen Seen umgeben, erhebt sich mittendrin die große , gotische Inselburg. Leider dürfen auch hier wieder keine Hunde die Burg betreten, so schauen wir uns alles in Ruhe von außen an. Den gesparten Eintritt investiere ich dann einfach in ein paar nette Souvenirs.

Von dort aus fahren wir noch rund 80 Kilometer weiter Richtung polnischer Grenze – abermals sind wir schwer beeindruckt von den katastrophal schlechten Straßen und den heruntergekommenen Dörfchen.

Unser Resümee von Litauen: mit so viel Armut, verwaisten Dörfern und katastrophalen Strassen hatten wir nicht gerechnet. Es war kaum zu glauben, dass wir in Europa sind und hier sogar die Eurokriterien eingehalten werden ?

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